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Philipp, 12 Jahre, Traumafolgestörung




Philipp ist 12 Jahre alt. Er mag gern Traktoren und verbringt den Großteil seiner Freizeit auf den Feldern seines Onkels oder im Wald. Er weiß jetzt schon, dass er später am liebsten Förster werden möchte. Philipp ist zierlich und eher klein für sein Alter. Insgesamt schaut er jünger aus, als er es tatsächlich ist. In der Klasse ist er mit seinen Interessen allein. Die anderen finden seine Vorlieben ziemlich schräg. Mehr noch, sie finden ihn, Philipp, ziemlich schräg. Seine begeisterten Geschichten über Traktoren finden sie lächerlich. Sie lachen ihn aus, weil er wenig Wert auf sein Äußeres legt. Keinen Wert auf Markengewand oder -schuhe. Keinen Wert auf Gel in den Haaren. Um ehrlich zu sein, auch keinen Wert auf Social Media, Youtube und all diese Dinge. Er nützt seine Freizeit lieber draußen.


Zu Beginn der ersten Klasse begann eine Gruppe anderer Burschen immer mehr über die „komischen“ Vorlieben von Philipp zu lachen. Mit der Zeit ließen sich immer mehr davon mitreißen. Irgendwann konnte keiner mehr ein gutes Haar an Philipp lassen. Nur noch ein paar einzelne hatten nichts gegen Philipp. Aber sie blieben still. Aus Angst auch „gedisst“ zu werden, wenn sie sich auf die falsche Seite stellen würden.


Dann wurden die Beleidigungen immer mehr. Blieben nicht nur in der Schule, sondern gingen am Schulweg weiter. Sie gingen weiter in der Garderobe, in der Pause, im WhatsApp Kanal der Klasse. Philipp wurde mit jedem Tag noch ein Stück kleiner. Er hoffte unsichtbar zu werden, damit sie ihn doch einfach ihn Ruhe ließen. Aber es half nicht.


Eines Tages war Philipp am Klo und als er rauskam, warteten vor der Toilette vier Burschen. Sie begannen ihn zu beschimpfen, ihn an seinem T-Shirt zu ziehen. Ihn herauszufordern. Ihn zu schubsen. Einer bespuckte ihn. Einer gab ihm einen Tritt. Ein Schlag auf den Oberarm, einer ins Gesicht. Philipp machte sich klein und immer kleiner. Er wollte verschwinden, unsichtbar werden. Aber es funktionierte wieder nicht. Er hatte Angst, Riesenangst. Sein Körper tat ihm weh. Irgendwann kauerte er nur noch am Boden und wimmerte vor sich hin. Und irgendwann, ließen sie ihn endlich allein.


Philipp weiß nicht, wie lange er da noch so gekauert war. Als er sich sicher war, weit und breit nichts mehr gehört zu haben, schlich er langsam aus dem Bad. Er schaute sich um, um ja niemandem zu begegnen. Möglichst leise und unbemerkt huschte er aus der Schule, auf den Weg nach Hause. Seine Jacke, seine Schultasche alles blieb in der Schule. Er wollte nur weg. Auf dem Weg nachhause schossen ihm die Gedanken kreuz und quer durch den Kopf. Und gleichzeitig hatte er das Gefühl gar nichts zu denken. Gleichzeitig so viel und gleichzeitig gar nichts. So war es auch mit seinen Gefühlen. Er fühlte zugleich alles und nichts mehr. Der Weg vor ihm verschob sich. Verzerrte sich vor seinen Augen.


Er wollte nur noch nachhause. Er wollte nicht, dass seine Eltern bemerkten, was passiert war. Er schämte sich. Schämte sich, für das, was ihm passiert war. Er fragte sich, warum das gerade ihm passierte. Warum gerade ihm? Was war so abscheulich an ihm? Zuhause angekommen ging er schnurstracks auf sein Zimmer. Er wollte schlafen. Er wollte nichts mehr spüren. Er wollte vergessen.

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